Putin-Poncho mit Werkzeug-Gürtel

Wir sehen fern: Die Frau, das Kind, ich. Eine Dating-Show, nicht ganz so voyeuristisch wie viele andere, unterhaltsamer, ruhiger. Irgendwie nett. Es sind schwierige Zeiten, die uns und andere auch nach innen bannen, in die Wohnungen.

In der Datingshow taucht ein Pärchen auf, das 61 sein soll, und es wohl auch ist. Ich lächele bei der Selbstdarstellung, den Wünschen und Vorstellungen der Bald-Senioren. Bis ich merke, dass sie mir mit ihren Gedanken näher sind als die tätowierten, gepimpten, erfolgreichen, gebräunten, ja auch hübschen jungen Kandidaten.

Eigentlich sollte mir der Fortschritt auf dem Ladebalken des Lebens und seine Vergänglichkeit vertraut sein. Und die Wünsche, die man noch so hat. Immerhin wir zusammen. 

Armin in der Wohnung unter uns ist allein.

Den unspektakulären Auszug seiner Frau verkraftete er gut. 

Jedenfalls sah es anfangs so aus 

Dann hüllte ihn Corona in ein Cape aus Einsamkeit, darüber legte sich etwas später die große Heizungskrise und mit ihr ein wärmender Acryl-Plüsch-Überwurf-Decken-Umhang mit Kapuze, liebevoll “Putin-Poncho” genannt.

Homeoffice und Lieferdienste vernähten Corona und Gaskrise zu einer Katastrophenabweisenden Kevlar-Teflon-Schicht. 

Jedenfalls klingelte ich bei Armin, ein Stück frisch gebackenes Brot in der Hand, Oliven, Käse und zwei Flaschen bestes Bier im Täschchen.

Armin zeigte sich in seinem Putin-Poncho, der im nahenden klimagewandelten Spätwinter nicht mehr so flauschig wirkte wie in der Sendung des Homeshopping-Kanals. 

Immerhin stand er.

Also Armin, nicht der Umhang.

“Ah!”, sagte er, und “Du bist es.” Ich bot ihm das Geschenk-Essen an. Ein alter Trick, den alle Eroberer und Wanderer anwandten: Essen symbolisiert Friede. In vielen Kulturen bot die Sippe oder Gruppe am Lagerfeuer oder in der Burg oder im Bunker oder sonstwo Schutz-  so lange man gemeinsam aß; in anderen Schriften hiess es “Acht Stunden” oder  – etwas profaner – so lange die Speisen eben im Körper … äh … verweilten.

Nun also Bier und Brot und Käse und Oliven. Armin machte einen erfreulich aufgeräumten, wenn auch streng riechenden Eindruck: Ukraine-Duschplan und über Jahre sinn-isolierter Arbeitsplatz zeigen Wirkung.

Erst redeten wir, wie man so redet beim Bier, wir schimpfen über die Chefs, die Berlin-Wahl,  erörtern Pro/Kontra Klimakleber, vergleichen Diagnosen und Nebenwirkungen bis hin zu  “WasmachstnduimUrlaub”.

So Sachen. 

Zwischendrin liefern DHL, Hermes und Bringmeister, frische Kleider, Medikamente (“AUFBAUPRÄPARATE FÜR SPORTLER”!), Tütensuppen und H-Milch.

Dann muss ich fragen: “Du. Armin. Der Gürtel. Was machtn der?”

Der Gürtel ist der mittig liegende Höhepunkt seines Putin-Ponchos. Jeder US-Polizist würde  ehrfürchtig staunen und werweisswas bieten, um ein solch’ ledernes Symbol tragen zu dürfen. Er schnürte Armin keine schmale Taille, aber das scheint nicht Sinn des Accessoires zu sein. 

Eher wirkt er wie ein … Schrank: Voller Täschchen und Halterungen. Handwerker tragen solche Gürtel. Bei ihnen stecken Hammer, Säge, Leatherman, Zangen, Nägel, Zollstock (!), Laser-Wasserwaage und Infrafrot-Sucher griffbereit in den Taschen und Henkeln.

“AchderGürtel?! Ja toll, ne?! Also..”, setzt Armin an, und deutet nach und nach auf die diversen Täschchen, Beutelchen und Anhängsel. “Links”, sagt er, “Computerbrille, daneben normale Brille. Kein Mensch trägt heute noch diese… Brillen-Kettchen! Dann Hülle für Fernbedienungen.” 

Wie zwei Handschellen

Was über der Hüfte entfernt aussieht wie schwarze Handschellen sind zwei sauber aufgerollte Ladekabel, USB-A und USB-Mini-B, “Hier hinten, da knicken sie nicht, Diabetes-Spritze, daneben die Dose für die Tabletten, Blutdruck-Messgerät – benutze ich mehrfach am TAg!- , und  – ganz wichtig und völlig unterschätzt – Vitamin D. Weiter rechts die kleine Tasche für Hörgeräte, inklusiver Mini-Innentasche für Ersatzbatterien, dann Klammer für Headset, Handy,“ deutet er weiter, bis an der kleinen Handbedienung für Lichtschalter und Jalousien vorbei wieder vorne angekommen ist, auf der Zwölf, im Süden.

Ich staune

Ich frage mich, wer sein Leben nicht im Griff hat. 

Und freue mich auf die nächste Folge der Datingshow im despektierlichen Kreise der Familie. Und die jungen Kandidaten, deren Gedanken ich auch nicht mehr folgen kann. Aber die sind wenigstens hübsch.

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