Wir sitzen in der Harlachinger Einkehr. Es ist Sommer, da sitzen wir auch mal draußen, die Luft ist so gut.
Der Schankkellner ist dem Posten angemessen unfreundlich. Die Challenge lautet ihn nach einer kleinen alkoholfreien Radler- Halben zu fragen. Wer den folgenden Orkan übersteht trinkt an diesem Abend jede Mass auf Kosten der anderen.
„Wenn jemand einen beschissenen Tag hatte, dann ich!“, behauptet Andreas in das Schweigen hinein. Einfach so sagt er das. Ok, als Chefeinkäufer einer wirklich großen Firma hat er bestimmt oft viel Ärger. Deshalb hat er nicht das alleinige Recht auf Ärger im Büro gepachtet.
„Ihr glaubt, ich hätte nicht das alleinigen Recht auf Ärger im Büro gepachtet?! Wenn es nur das wäre! Birgit war beim Frisör!“
Sofort schlagen wir alle die Augen nieder. Schuldbewusst. Wie konnten wir Andreas nur so Unrecht tun? Es war klar, das da noch was wirklich Schlimmes sein musste.
„Und?“ fragt sogar Martin, der sonst eher auf eine Art Grundsatzkorrektheit achtet. Frisörbesuche der Frauen und deren Folgen stehen allerdings über allem, möglicherweise sogar über den Genfer Konventionen; Martin schickt gleich ein profanes „War es sehr teuer?“ hinterher.
„Pfff. 120 Euro! Für zwei Stunden!“ ruft Andreas und rechnet sofort weiter: „2/3 der Zeit sitzen die Frauen da nur rum, da kann er locker drei gleichzeitig fertig machen, macht pro Stunde 180 Euro! Ok, Brutto, aber das musste erstmal verlangen können. Ich würde ihn auf 40 runterhandeln.“
„Hat Dir Birgit verboten!“ rufen wir im Chor, denn Birgit verbietet ihm im normalen Leben irgendetwas zu verhandeln, was Andreas andernfalls sonst unentwegt tun täte.
„Naja, ich habe es natürlich nicht gemerkt, als ich nach Hause kam, erst als sie mich so provokant mit einem ‚Naaaa?‘ ansprach, ahnte ich etwas, wusste aber nicht, ob es Sex geben müsste, oder ich den Hochzeitstag verpasst hatte. Dann kam schon ein völlig entnervtes ‚Die Haare!‘ „.
„Immerhin hat sie dir geholfen, bevor du die Hose runtergelassen hast, das muss man ihr hoch anrechnen! Oder hast du dir erst an den eigenen Kopf gelangt?“
Andreas schüttelt den Kopf: „So schnell bin ich noch: Klar, hab ich von Herzen gelobt, die neue Frisur, die Länge ,eigentlich die Kürze, die frische Farbe.“
„ … dann hat sie gesagt?“
.. ‚Muss erst gewaschen und gefönt werden, dann liegen sie richtig‘“.
Wir sprechen diese Sätze mit. Wieder im Chor. Gäste im Biergarten wenden sich uns zu.
Das ist er, der Stylist-Dance, ein herumtänzeln um einander, als erfüllendes Rituals, denn die Frau saß nun zwei Stunden irgendwo rum, willenlos und hatte keinen Kontrolle. Das Ergebnis muss toll, es will gelobt sein.
„… mein Gott, wir sind seit 20 Jahren verheiratet..:“ „23“, korrigiert Martin, der sogar besser weiß wer wie lange verheiratet ist, als die Ehepartner selbst.
„… sie geht drei bis vier Mal im Jahr zum Frisör, die Schnitte der letzten Jahre sind nicht mehr so unterschiedlich, wie soll ich über 60 Mal ein echtes von Herzen kommendes Lob aussprechen? Birgit merkt ja auch nicht, wenn ich von Ilkay komme.“
Wir gehen alle zu Ilkay, dem emsigen Team nahöstlicher Haarschneidemeister: Schneiden, zupfen Ohren brennen: 12 Minuten, 12 Euro.
„Übrigens“, sagt Klaus, „Ilkay hat einen Neuen. Er fragte mich sofort:,Wie immer?‘ dabei war er das erstmal in dem Laden, ich das erste mal bei ihm! Und er so: ‚Eben. Wie immer?‘“
Den finde ich sehr schön!