Corona-Tagebuch: Hirschkuss online bestellen

Wir sitzen vor den Kameras, eigentlich wie immer, Martin, Thomas, Jürgen, Dieter mal wieder. Der ein oder andere kommt dazu und geht wieder, Zenzi, die Bedienung aus der Zünftigen Wirten, in der wir uns sonst… physisch … treffen, ist heute wieder nicht dabei. Dieters Leitung ruckelt wie immer.

Bisher trank ja jeder, was er gerade im Kühlschrank findet. Zum Beispiel Eierlikör, der eine echte Renaissance erlebt, seit es den Thermomix gibt: „Kannste toll Eierlikör mit machen“ scheint mir die Haupt-Argumentationslinie, um sich einen über 1000 Euro Topf mit Heizplatte in die Küche zu stellen. Bestellt man 5 Geräte gibt es Nachlass. Aber im Ernst: Küchengerät für 5000 Euro bestellen?!

Allerdings wird mehr als Eierlikör doch Bier getrunken…

Jedenfalls: Gibt einer einen Schnaps aus, wird aufgeschrieben. Ist die entsprechende Menge beisammen, werden Hirschkuss-Flaschen bestellt und verschickt. Dann trinkt jeder seine ihm zugeteilten Kirschkussse (Hirschküsse? Hirschkuss’s?) nach Gutdünken. Sehr praktisch – durchdacht geradezu.

Martin hält die Tageszeitung (Wochenendausgabe) in die Kamera, möglicherweise um zu zeigen, dass er konservativ genug für ein gedrucktes Exemplar ist. „Da“, ruft er „habt ihr das gelesen? Amazon ändert 2,5 Millionen Mal am Tag die Preise!“

Mir ist das egal, ich bestelle nicht bei Amazon, die Buchändlerin am Eck ändert die Preise nie: Ich schaue immer erst bei Amazon, ob es das Buch gibt, dann bestelle ich bei ihr: Zack, ist es am kommenden Tag da. Ich schüttelte also nur kurz den Kopf.

Dieter scheint was sagen zu wollen, aber er friert immer wieder ein, ruckelt sich frei, Wortfetzen fliegen durch die Gegend. Dann erstarrt er wieder zu einer Grimasse des Grauens oder zu einem Witzbild. Martin schimpft weiter: „Ständig ändert sich der Preis, wie soll man da vernünftig als ehrbarer Kaufmann entscheiden?“ Ja, das frage ich mich auch, 2,5 Millionen mal am Tag Entscheidungen ändern, das scheint mir viel.

„Ändert sich der Preis auch mal auf dem Versandweg zu dir? Wird vielleicht billiger?!“, könnte sich Thomas vorstellen und: „stell dir vor, die Zenzi ändert 2,5 Millionen Mal am Tag den Preis für das Bier?! 3,10!  15,91 Euro! Jetzt zwei Euro. 3,12 Euro. Jetzt bestellen bei 4,17. Jetzt 4,15!…. Welchen Sinn soll denn das machen?“

Dieter scheint mit reden zu wollen: Er ruckelt etwas wie „ … Best-Price anders rum..:“  bevor er wieder einfriert. Diesmal mit erhobenem Zeigefinger und offenem Mund. Ich überlege, ob ich seinen Bildschirm schwarz schalte. Könnte fast ne Zumutung sein, was er da zeigt.

Jürgen hält seine bisherige Hirschkussflasche in die Kamera, entbügelt sie, nimmt einen Schluck und meint: „Klar doch machen die das, der Preis ist bei dir, Martin, sogar höher als bei Dieter…“

Martin stutzt. Das gefällt ihm nicht, grundsätzlich nicht, und dass er für ein Amazon-Produkt mehr zahlen soll als Dieter, das wird er nicht akzeptieren.

„Der Preis hängt sogar von der Hardware ab. Apple – teuer. Iphone – ganz teuer: Billig PC mit Windows 10: Billig. Nokia Handy, praktisch geschenkt. Deine Ecke, Martin  —“ (er wohnt gerade jenseits der Grenze im Nobelviertel Harlaching, da legt er oft genug auch Wert drauf. Wir wohnen dagegen in Giesing. Da legen wir Wert drauf.) „… ist teurer. Is so. Kannste dir ja auch leisten.“

Dieter scheint rumzufuhrwerken: Er chattet jetzt mit: „Bestelle für euch. Hab Windows ME am Laufen, Telefonmodem. Preisdifferenz geht an mich…“

Mir dämmert es: Daher ist Dieter so abgehängt. Er manipuliert den Algorithmus.

„Dieter“, rufe ich, als könnte er uns hinter seiner alte Maschine nicht hören, „Dieter. Glückwunsch. Das ist mir ne Flasche Hirschkuss wert. Bestell sie dir bei Amazon!“

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