Es ist Donnerstag, ich habe morgen frei, ein Besuch in der Zünftigen Wirtin steht an. Das ist ein kleiner Stehpub ums Haus, da, wo sich auf ein kurzes Bier (manche auf ein längeres, oder mehrere längere, oder sogar ganz viele Biere) vor allem Männern treffen, die kein Zuhause haben.
Wir sind da manchmal, wir Väter, obwohl wir ein Zuhause haben. Hier gibt es eben noch lokales Bier, einfach Bier, Filterkaffee, und ne Bohnensuppe. Dinge, die es in der Stadt kaum noch gibt. Da muss allein die Kaffee-Bestellung durchdacht sein, politisch korrekt, fehlerfrei. Sonst gibt es kein Wunderwerk an fairem Grundstoff angereichert mit diversen weltoffenen Aromen und milchartigen Flüssigkeiten, die das allgegenwärtige, schlechte Gewissen runterspülen sollen. Angeboten im einem verrückten irdenen Topf.
Hier also verbringen wir die ein oder andere Stunde, wenn wir nicht bei unsere Liebsten sind, genießen das einfache Bier aus der örtlichen Brauerei in der immer gleichen Atmosphäre und gruseln uns vor den Folgen der falsch geführten, nicht ausgesprochene Beziehung: Dann nämlich werden wir hier öfter sitzen, vielleicht immer, vielleicht für immer. Keine Ahnung, wie die Dauergäste das hier finanzieren.
Noch jedenfalls dürfen die meisten von uns sowohl in diese Kneipe gehen, als auch nach angemessenem Alkoholkonsum wieder heraus. Also tu ich das ab und an. Man trifft sich ja gerne mal mit anderen.
Am Tresen steht Martin. Martin ist ein guter Kerl. Manchmal etwas kompliziert, aber im tiefsten inneren gut. Neben seinem Bier liegt ein Aktenordner, vor sich hat er Papiere, die er offenbar durchsieht.
„Ah, du hast Arbeit mitgebracht?!“, frage ich und ordere per Handzeichen ein Bier.
„Hmm“, brummt er, und „Verträge.“
Ich zucke mit den Schultern (wer sein Tagwerk nicht im Büro erledigt, oder dort liegen lässt ist irgendwie selbst Schuld), und blicke über seine.
„Du schließt mit deinen Kindern Verträge?!“, frage ich, weil ich auf der ersten Seite bei den Vertragspartnern (‚…im folgenden Eltern und Kind1 bzw. Kind2 …‘) erspäht habe.
„Hmm“, brummt er, „Carmen hat in einer Frauenzeitschrift gelesen, man müsse einen Mediennutzungsvertrag mit seinen Kindern schließen. Instagram und so. Fernsehen. WLAN.“
„Ahso?“ , sage ich, und erinnere mich daran, das Carmen in einer großen Firma in der Rechtsabteilung arbeitet. „Reicht da keine Ansage?“ Tarzanstochter reagiert meistens auf Hinweise wie ‚Jetzt ist aber genug‘ oder ‚Lies doch mal‘.
„Ha“, sagt er, „nein, die Kinder müssen ja wissen, was geht, Kontinuität! Transparenz!“
Ich staune, Tarzanstochter Medienkonsum ist kaum einzugrenzen: Läuft ein Hörspiel? Fotografiert sie? Kommuniziert mit den Freundinnen? Oder schaut sie die neue Folge Cobra11? Wer weiß das schon – transparent scheint mir das nicht bei uns. Aber es läuft.
„Unglücklicherweise haben sich die Kinder einen Rechtsbeistand geholt“, erzählt Martin weiter, nachdem wir angestoßen haben: „Beim Vertrag, der die Sauberkeit der Wohnung regelt, fühlten sie sich übervorteilt. Dabei hängt der gesamte Einkauf eh wieder bei den Eltern! Der Rechtsbeistand jedenfalls hat gemeint, Pflichten und Einschränkungen seien schön und gut, aber es gebe ja auch Rechte!“
Ich überlege kurz wie das bei uns ist: Drüber sprechen, ein paar Sachen sind einfach aufgeteilt. Irgendwie funktionierts.
Er blättert in den Papieren: „Hier. Zum Beispiel ‚Die Eltern haben täglich zwischen 7 Uhr und 21 Uhr (Tage vor schulfreien Tagen: bis 22 Uhr) einen störungsfreien WLAN Betrieb in Glasfaser-Qualität bereit zu stellen. In den Ferienzeiten gelten gesonderte Zeiten (siehe Anhang ‚Ferienzeiten § 2.5.7‘).‘‚ oder: ‚Ansagen von Teil der Eltern dürfen nicht früher am Tag von anderen Teilen der Eltern getroffenen Aussagen widersprechen, es sei denn, es ist ein neuer Sachstand nach § 17.3.4 eingetreten.‘ “
„Aha, sage ich. Warum kümmerst du dich darum, wenn Carmen das doch gelesen hat?“
„Familienvertrag! Paragraph 4, Absatz 5: Regeln werden vom Vater erarbeite und im wöchentliche Familienrat abstimmungsreif vorgelegt.“
„Wer gießt die Blumen?“ frage ich.
„In den Ferien, in schulfreien Zeiten, unter der Woche, oder am Wochenende?“
Ich nehme einen Schluck Bier, ordere einen Eierlikör („Du auch?“ – „Nein, nach § 2 darf ich nicht über 0,7 Promille kommen unter der Woche.“), ordere statt des Eierlikörs einen Whiskey und schaue Martin tief in die Augen.
„Regelt ihr auch …?“
„Klar, nach schwedischem Vorbild – nur mit Einverständnis.“
„Hattet ihr seit dem mal…?“
„…. …. Nein.“
Ich ordere zwei Whiskey: Scheiss auf die Verträge.