Das Sommerbuch – warum ich Heidegger gegen Dan Brown tausche

Ich lese viel. Das ist auf Dauer recht teuer, daher leihe ich mir ab und an ein Buch. Meine Bücher verleihe ich im Gegenzug auch ganz gern. Also nicht im direkten Gegenzug Buch gegen Buch, sondern … sagen wir … Freund A bekommt den neuen Krimi von Max Bronski,

Kollegin L. leiht mir derweil den aktuellen Dan Brown. Der wird durchgearbeitet, wenn der Nick Carey von Don Winslow (Bücherei) ausgelesen ist. Das dauert noch ungefähr drei Arbeitstage, weil ich jeweils vor dem Schlafen ein bisschen und in der Ubahn auf dem Hin- und auf dem Rückweg lese. Da schafft man was. [Apropos Ubahn. Gerade komme ich vom Mittleren Ring zurück. Zwischen 17-30 Uhr und 19 Uhr ist der so voll, dass ich nicht verstehe, warum Menschen sich zu Tausenden gemeinsam im Auto auf die Straße stellen, von der Ubahn aber mit dem Hinweis ablassen, sie sei zu voll. Aber bitte. Das gehört nicht hierhin. Steht nun aber da. Entschuldigung.]
Vor allem das Verleihen meiner Bücher sorgt dafür, dass immer Platz im Regal ist. Das scheint eine Art natürliche Auslese zu sein. Viele Bücher kommen nämlich nicht zurück. Ich weiß gar nicht genau welche, merke es erst, wenn ich ein bestimmtes Buch suche.


Manche kommen schon zurück. Manche bekomme ich nach Monaten oder gar Jahren zurück („Da. Beim Aufräumen gefunden. Hab ich zwar nicht gelesen, wollte es aber mal zurück geben.“ Das war etwa das große Wolf Haas-Brenner Buch, drei Romane in einem Band. Super Sache, aber bitte, wer nicht will, der hat schon.).
So was verwundert mich. Weniger das es nicht gelesen wurde, vielleicht hab ich es zu sehr angepriesen, das Gegenüber wollte nicht ‚nein‘ sagen, fühlte sich genötigt es zu nehmen (nicht zu lesen). Oder stellte fest, dass Wolf Haas wirklich nicht vergleichbar ist mit Tom Clancy, dessen Lebenswerk möglicherweise sonst im Regal steht. Nein, das nicht-Lesen wundert mich nicht. Oder zumindest nicht besonders.
Es wundert mich, dass nach ungefähr 1,5 Jahren der Ausleiher noch wusste, dass das Buch von mir war. Ich weigere mich nämlich meinen Namen in Bücher zu schreiben. Möglicherweise aber dauerte es aber auch so lange, bis das Buch zurückfand, weil der Ausleiher 15 Monate darüber nachdachte, von wem dieses Buch war, bereits versuchte etlichen Menschen das ungeliebte, ungelesene Werk anzudrehen. Und es wollte keiner. Niemand. Das schöne Buch. Am Ende blieb nur ich. Das sollte mir auch zu denken geben. Ich stehe am Ende der Möglichkeiten, letzte Ausfahrt ich?
Vielleicht gehört es mir auch gar nicht, es ist nicht die Ausgabe, die ich damals gekauft hatte? Dann wäre ich jetzt nur ein Adoptiv-Besitzer, eine Art SOS Bücherdorf, das besitzerlose Bücher aufnimmt, und ihnen einen Platz im Bücherregal gibt. Eine Heimstatt, zwischen anderen, gleichgesinnten Werken mit ähnlichen, mit traurigen Geschichten. Eine neue Heimat. Bevor sie in der Ubahn auslegt werden und erst lange herumfahren müssen, bevor sich jemand ihrer erbarmt. Dann doch besser ein Platz in meinem Regal.
Sofern der noch da ist. Es ist ja nicht so, dass ich den Platz für ein Buch im Regal freihalte, am Ende sogar mit einem kleinen Emaille-Schildchen „Hier steht normalerweise das Drei-in-Einem-Buch vom Haas, Wolf“. Wie sieht denn das aus, wenn man recht viele Bücher verleiht? Und entsteht so nicht irgendwann der Wunsch einfach nur Schildchen an das Regal zu heften, so „James Jocye, Ulysses, Orginalausgabe!“ oder „Sein und Zeit, Heidegger“, „Phänomenologie des Geistes“ (logo, Hegel) und so Sachen. Da kommen wir ja ganz schnell an Fake-Buchregale Trumpschen Ausmaßens. Allerdings gehört wohl in diesem Fall noch dazu die getwitterte Vollzugs-Meldung, GELESEN. GROSSARTIG. BESTER DEAL EVER. Der Brenner-Sammelband jedenfalls liegt jetzt erstmal quer. Er erwartet sich einen Platz. Ich muss ein anderes, passendes verleihen.
Jedenfalls sind es die wenigen Bücher, die ihren Weg zurück zu mir finden. Das ist nicht schlimm. Ich lese selten Bücher zweimal.
Auf das Buch von Kollegin L. freue ich mich. Es ist ganz anders als die meisten anderen Bücher, die ich so geliehen bekomme. Die anderen Bücher sind meist … ordentlich. Ich muss auf sie aufpassen, wage nicht ihren Rücken zu brechen, Seiten zu knicken (weshalb ich mir unentwegt Seitenzahlen merken muss), mit ihm Insekten zu töten, nicht einmal Wespen.
Dieser übliche schnieke Umgang mit den Büchern wundert mich. Ich glaube, dass die wenigsten Bücher von ihren Besitzern zwei oder gar mehrmals gelesen werden. (Werden sie mehrfach gelesen sieht man es ihnen ja wiederum an, vielleicht daher). Und an Wert verlieren sie ja mit dem ersten Aufschlagen der Seite, egal wie vorsichtig der Leser mit ihr ist. Im Laden kostet das dicke Ding noch 19,95, oder besser 22,35, weil die Ebooks jetzt ja extra billig sind mit 19,95. Also da kostet es noch so viel, ist es aber dann einmal aufgeschlagen und damit gebraucht, kann man es noch in der Drei-Stück-ein-Euro-Bücherkiste auf dem Flohmarkt zusammen mit Hegel und Jocye verscherbeln. Warum also so vorsichtig damit sein?
Jetzt aber dieses Werk: Der hintere Einband ist nach hinten gebogen, der vordere nach vorne, als hätte die Leserin versucht, das Buch nur an den äußeren Dritteln der Seiten zu lesen (Es ist Dan Brown – möglichweise erhält man auf diese Art eine geheime Botschaft), Seiten wirken verknüllt, als hätte ein Eselsohr nicht gereicht, und irgendwie riecht es … nach Sonnencreme. Es ist ein echtes Sommerbuch. Das erste Buch, auf das ich nicht aufpassen muss. Ich werde es jetzt in Ruhe lesen. Und ich hab schon nachgeschaut. In dem Buch steht kein Name, es könnte also meines sein. Ich stelle es nach dem Lesen mal auf den Platz von Heidegger.

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